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Einzelhandelsimmobilien in der Innenstadt – Warum viele Kaufpreise nicht mehr realistisch sind

  • Autorenbild: Marc André Sieber
    Marc André Sieber
  • 10. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit

Der stationäre Einzelhandel in Deutschland befindet sich seit Jahren in einem tiefgreifenden Strukturwandel. Getrieben von E-Commerce, verändertem Konsumverhalten und demographischen Verschiebungen hat sich die Nachfrage nach klassischen Innenstadtlagen deutlich verringert. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist der Umsatzanteil des Onlinehandels am gesamten Einzelhandel in den letzten zehn Jahren von rund 8 % auf über 18 % gestiegen – Tendenz weiter steigend. Diese Entwicklung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Miet- und Kaufpreise innerstädtischer Handelsflächen.


Während A-Lagen in Metropolen nach wie vor stabile bis leicht rückläufige Preisniveaus halten können, geraten B-, C- und insbesondere D-Lagen zunehmend unter Druck. Die strukturelle Schwäche vieler Kleinstädte – erkennbar an Leerständen, Frequenzverlusten und einem überalterten Branchenmix – führt dazu, dass Immobilienwerte, die noch auf den Erfahrungswerten vergangener "Boomphasen" beruhen, heute kaum mehr marktfähig sind.




Fehlbewertung in C- und D-Lagen

In zahlreichen deutschen Mittel- und Kleinstädten sind die Angebotspreise für Einzelhandelsimmobilien weiterhin deutlich über dem real erzielbaren Marktwert angesetzt. Eigentümer orientieren sich häufig an historischen Transaktionen oder an vermeintlich vergleichbaren Innenstadtlagen, ohne den tatsächlichen Ertragswert der Immobilie zu berücksichtigen.


Nach der ImmoWertV (§ 17 ff.) ist der Verkehrswert einer Immobilie jedoch der Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zum Bewertungsstichtag unter Berücksichtigung von Lage, Nutzung, Ertrag und Marktgegebenheiten erzielbar wäre. Gerade in stagnierenden oder schrumpfenden Regionen wird dieser „gewöhnliche Geschäftsverkehr“ zunehmend von Investoren bestimmt, die auf reale Mietströme und Renditen achten – nicht auf emotionale Wertvorstellungen.


Hieraus ergibt sich ein systematisches Bewertungsproblem:


  • Ertragswerte (basierend auf nachhaltig erzielbaren Mieten und realistischen Liegenschaftszinsen) liegen oft deutlich unter den Erwartungen der Verkäufer.


  • Sachwerte (basierend auf Bodenwert und Herstellungskosten) führen dagegen zu künstlich hohen Ergebnissen, die am Markt keine Rolle mehr spielen.


  • In der Folge werden Kaufpreise gefordert, die einem Faktor 15–20 des Jahresnettoertrags entsprechen – während Investoren in C- und D-Lagen realistischerweise nur Faktoren zwischen 6 und 10 ansetzen.


Das Resultat: Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage geht immer weiter auseinander, Transaktionen bleiben aus, Leerstände steigen.


📍 Beispielobjekt


Lage: Mittelzentrum / C-Lage (z. B. Kleinstadt mit stagnierender Einwohnerzahl, rückläufiger Frequenz)

Nutzung: Einzelhandel

Größe: 1.000 qm

Marktübliche Miete pro qm: 6,00 Euro

Jahresnettomiete: 6 Euro * 1000 qm * 12 Monate = 72.000 Euro Miete p.a.


Faktor

Kaufpreis*

Bewertung

6-fach

432.000 Euro

Realistisch für viele D-Lagen mit Leerstandsrisiko oder geringer Nachfrage

10-fach

720.000 Euro

Oberes Marktsegment für stabile C-Lagen oder Mieter mit guter Bonität

15-fach

1.080.000 Euro

Deutlich über Markt, häufig Eigentümererwartung ohne Ertragsbasis

20-fach

1.440.000 Euro

Unrealistisch für C-/D-Lagen – Preisniveau von A- bis guten B-Lagen

*Kaufpreis = Miete * Faktor (ohne Nebenkosten)


„Tote Innenstädte“ als Folge von Fehleinschätzungen

In vielen Kommunen zeigt sich ein Kreislauf aus Überbewertung und Funktionsverlust. Eigentümer halten an unrealistischen Preisvorstellungen fest, wodurch neue Nutzungen (z. B. Gastronomie, Bildung, Kultur oder Co-Working) wirtschaftlich unmöglich werden. Kommunen wiederum verlieren an Attraktivität, die Passantenfrequenz sinkt, und der verbleibende Einzelhandel kämpft mit rückläufigen Umsätzen.


Die Folge ist eine Erosion der Innenstadtfunktion, die sich städtebaulich durch verwaiste Erdgeschosszonen und sinkende Aufenthaltsqualität manifestiert. Der von Werner Bätzing beschriebene „Prozess der funktionalen Entleerung“ (Bätzing, Die Alpen – Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft, 2015) lässt sich in abgewandelter Form auch auf viele deutsche Mittelstädte übertragen: Wo Nutzung und Wertschöpfung verschwinden, verliert der Raum seine Bedeutung.


Besonders problematisch sind Standorte, in denen im Norden oder am Stadtrand neue Fachmarktzentren entstanden sind. Diese ziehen die verbleibende Kaufkraft aus den Ortszentren ab und führen zu nachhaltiger Entwertung der zentralen Lagen. Beispiele hierfür finden sich in Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen gleichermaßen.



Erforderlicher Perspektivwechsel bei Eigentümern und Kommunen

Um diesen Trend umzukehren, braucht es ein Umdenken auf mehreren Ebenen:


  1. Realistische Wertermittlung:Eigentümer müssen akzeptieren, dass der Marktwert einer Handelsimmobilie nicht durch historische Investitionen, sondern durch heutige Nachfrage bestimmt wird. Eine sachgerechte Ertragswertermittlung nach § 17 ff. ImmoWertV ist Grundlage jeder fundierten Preisfindung.


  2. Neue Nutzungskonzepte:Kommunen und Investoren sollten verstärkt auf Mischnutzungen setzen – Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Bildung oder Pflege. Nur durch funktionale Vielfalt kann die Innenstadt als Lebensraum revitalisiert werden.


  3. Förderpolitische Unterstützung:Programme wie das „Bundesprogramm Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ (BMI) oder kommunale Sanierungsgebiete nach §§ 136 ff. BauGB können helfen, Investitionen anzuregen. Entscheidend ist jedoch, dass diese Mittel nicht in kosmetische Maßnahmen fließen, sondern strukturelle Veränderungen ermöglichen.




Fazit: Marktlogik statt Nostalgie

Einzelhandelsimmobilien in C- und D-Lagen sind nicht per se wertlos – aber sie sind in der Regel überbewertet, wenn man sie weiterhin als klassische Handelsstandorte betrachtet. Der Markt honoriert heute vor allem Flexibilität, Umnutzungsfähigkeit und energetische Qualität. Alte Bewertungslogiken, die von stabilen Mieten und stetiger Frequenz ausgingen, sind obsolet.


Die Zukunft der Innenstadt wird nicht durch kurzfristige Rendite, sondern durch nachhaltige Funktionsvielfalt entschieden. Immobilienwerte müssen diese Realität abbilden. Nur wer die Marktmechanismen nüchtern analysiert und anpasst, kann in diesem Segment langfristig erfolgreich agieren.



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